01.10.2019

Raik Hoffmann von der FPM Frankfurt Performance Management AG hält die immer negativere Stimmung in den Medien für übertrieben.

In seinem aktuellen Marktkommentar diskutiert er u.a. die folgenden Aspekte:

  • Sind die Geschäftserwartungen der deutschen Unternehmen zu pessimistisch?
  • Wie wahrscheinlich ist eine Rezession in den USA?
  • Bodenbildung oder weitere Verschlechterung im verarbeitenden Gewerbe?
  • Hält die kurzfristige Outperformance der Value-Werte gegenüber den Growth-Aktien an?
  • Ist die Inflation wirklich mausetot?
  • Chancen und Risiken für den Rest von 2019?


Vor dem Sonnenaufgang ist die Nacht am dunkelsten

Wenn man sich die aktuelle Stimmung in den Medien anschaut, dann ist eine Rezession in den USA in 2020 eine mehr oder weniger ausgemachte Sache. Die inverse Zinskurve lässt grüßen. Deutschland ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in einer technischen Rezession (zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem BIP-Wachstum). Handelskrieg, Brexit, Proteste in Hong Kong, Ölpreisschock durch einen Krieg im Nahen Osten, Verspannungen am Geldmarkt wie in den besten Zeiten der globalen Finanzkrise, EZB im Panikmodus und eine sozialistische Elisabeth Warren, die eventuell Donald Trump beerben könnte. Die Liste könnte man weiter fortsetzen, Doom and Gloom, wo immer man auch hinschaut. Pünktlich zu Lebkuchen und Spekulatius in den Supermärkten wollen wir allerdings die erste Kerze anzünden, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wenn die Sonne tatsächlich aufgeht, könnte der beste Moment schon vorbei sein.

Ist eine Rezession wirklich unvermeidlich?

Während die deutsche Wirtschaft bereits seit Anfang 2018 in den Sinkflug übergegangen ist, konnte sich die amerikanische Wirtschaft unterstützt von Steuersenkungen und einer deutlich geringeren Abhängigkeit vom Außenhandel lange gut halten. Während Amerika dereguliert (auch wenn sicherlich nicht alle Maßnahmen zu begrüßen sind), passiert in Deutschland seit Jahren nur das Gegenteil. Die deutsche Automobilindustrie, um die uns wohl jedes Land der Welt beneidet, wird systematisch durch „Politprofis“ verunglimpft, ein Untergang fast herbeigesehnt. „Ich möchte ehrlich sein: Frankfurt braucht mehr Busse und Bahnen, aber nicht mehr SUVs.“ So schreibt der Oberbürgermeister von Frankfurt in seiner Rede zur IAA und seines Zeichens Aufsichtsratsvorsitzender der Messe Frankfurt. Bisher hatte ich doch tatsächlich gedacht, dass mehr Busse und Bahnen eher im Zuständigkeitsbereich des Oberbürgermeisters als Aufsichtsratsvorsitzendem des Rhein-Main-Verkehrsverbundes lägen als bei BMW, Daimler & Co. Man lernt eben nie aus.

Dass die Steuerquote in Deutschland seit dem Amtsantritt von Frau Merkel 2005 steigt und ein wirklicher Abbau der kalten Progression überfällig ist (wer fühlt sich schon als reicher Spitzenverdiener mit EUR 56.000 in einer (west)deutschen Großstadt), traut man sich ja kaum noch auszusprechen. Weil Deutschland sich seit 15 Jahren auf seinen Lorbeeren ausruht und sich fast alle politischen Handlungen der vergangenen Jahre die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verschlechtert haben, sind wir weiterhin im großen Stil von den Schwankungen und Stimmungen des Außenhandels abhängig, und hier führt die andauernde Unsicherheit durch Handelskrieg und Brexit zu einem abwartenden Verhalten. Investitionen werden verschoben, Lagerbestände reduziert, der Fokus auf die Generierung von Cash-Flows gelegt. Wenn dies alle auf einmal tun – es ist ziemlich offensichtlich, dass zum Halbjahr die Budgets überprüft wurden und entsprechend überall gleichzeitig auf die Bremse getreten wurde – ist die Stimmung entsprechend im Keller und die Gewinnwarnungen häufen sich. Aber der Ifo-Index für die Geschäftserwartungen, der tiefer als zur Eurokrise 2012 und auf einem Niveau vom 2. Halbjahr 2009 liegt, scheint dann doch etwas arg pessimistisch zu sein. Die aktuelle Lage wird zumindest deutlich weniger negativ gesehen.

Die Eintrübung der Stimmung im verarbeitenden Gewerbe konnte man, wenn auch weniger ausgeprägt als in Deutschland, auch in anderen Ländern und in den USA beobachten, allerdings ist seit den Sommermonaten eine Bodenbildung zu verzeichnen. Während also das verarbeitende Gewerbe in der Rezession ist, läuft der Konsum weiter gut. Das muss zwar nicht immer so bleiben, aber insbesondere der US-Konsument scheint in einer sehr starken Verfassung zu sein (solide Sparquote, hohes Einkommenswachstum). Der Rückgang der langfristigen Hypothekenzinsen sowie die Zinssenkungen der US-Notenbank werden für zusätzlichen Rückenwind sorgen. Daher halten wir auch eine Rezession in den USA für sehr unwahrscheinlich. Der Citi Economic Surprise-Index hat in den USA massiv ins Plus gedreht.

Da es auch den Anschein hat, dass die extrem aggressive Rhetorik im Handelskonflikt auf beiden Seiten zurückgenommen und der jeweiligen Gegenseite Zugeständnisse gemacht wurden, könnten sich etwas konstruktivere Verhandlungen ergeben. Bei Trump kann man zwar nie sicher sein, aber als „Mann der Wirtschaft“ ist im Vergleich zu unseren deutschen Politikern zumindest eher anzunehmen, dass er versteht, dass er die Unsicherheit für die Unternehmen nicht überziehen darf, wenn er seine Wiederwahl nicht unnötig gefährden will.

Value schlägt zurück – mehr als nur eine Runde?

Ein stabiler Konsument, die verarbeitende Industrie weltweit zwar in der Rezession, aber mit einer Bodenbildung nach fast zwei Jahren Rückgang bei gleichzeitig aufgeschobenen Investitionen und reduzierten Lagerbeständen: Das Menu ist angerichtet, um in den nächsten Monaten den Dreh in der Wirtschaft zu bekommen. Auch der Baltic Dry Index, ein Preisindex für das weltweite Verschiffen von Hauptfrachtgütern (hauptsächlich Kohle, Eisenerz und Getreide), welcher auf dem höchsten Niveau seit 2011 handelt, spricht eher für die erhoffte Bodenbildung als für eine kurzfristig bevorstehende Verschlechterung.

Dazu passen auch die starken Veränderungen in den Marktsegmenten: Value hat massiv gegen Momentum outperformed, wie es nur selten zuvor an einzelnen Tagen zu beobachten war. Gleichzeitig gab es einen deutlichen Anstieg der Zinsen. Dies kann zwar auch technisch bedingt gewesen sein (zu starke Investorenpositionierung Richtung Quality Growth / Momentum / Long Duration), nichtdestotrotz haben solche starken Bewegungen oft eine längerfristige Signifikanz. In solch einer Bewegung haben bestenfalls Hedgefonds und Quantitative Strategien ihre Schieflagen korrigiert. Aber große Teile des Marktes sind weiterhin Long Duration positioniert.

Sollte in der laufenden Marktkorrektur Value nicht deutlich underperformen (bisher alles im grünen Bereich), spricht vieles für eine Umkehr in den Marktkräften, höchstwahrscheinlich hervorgerufen durch eine Stabilisierung der Wirtschaft, auch wenn dies angesichts der augenblicklichen, zum Teil heftigen Gewinnwarnungen, intuitiv schwer zu verstehen ist. Aber da an der Börse bekanntlich die Zukunft gehandelt wird, ist die Party oft schon zu einem großen Teil gelaufen, wenn endlich bessere Wirtschaftszahlen sichtbar werden. Man sollte sich auch durch die Hiobsbotschaften aus den Unternehmen nicht zu sehr beeindrucken lassen. Nach Jahren des Aufschwungs ist dies die erste richtige Gelegenheit, bei der die Firmen bestehende Strukturen verändern und Restrukturierungen durchführen können, ohne auf massiven Widerstand von den Gewerkschaften zu treffen. Von daher könnte manche „Panikmeldung“ auch etwas aufgebauscht sein.

Je nach Markt und Indexständen nahe All-Time-Highs (z. B. S&P 500) könnte man einwenden, dass der Markt die kommende Erholung schon gespielt hat. Allerdings waren die deutlich gesunkenen Zinsen die Hauptantriebskraft für die gute Marktperformance dieses Jahr. Die Kursverläufe innerhalb der Indizes waren jedoch alles andere als einheitlich, so dass die Bewertungen und Kursverläufe zwischen Quality Growth/Long Duration-Assets auf der einen Seite und Aktien mit geringerer Prognosequalität (zyklischer, operative Probleme, …) auf der anderen Seite massiv auseinandergelaufen sind. Während Aktien aus der ersten Kategorie sehr hoch bewertet sind und wohl nur durch weiter sinkende Zinsen weiteren Antrieb bekommen könnten, handeln viele Aktien aus der letzten Kategorie oft auf Rezessionsniveau. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Marktstimmung wohl auch nicht überraschend.

Nullzinsen – für immer und ewig?

Was spricht für weiter sinkende Zinsen? Angesichts von rund 1 % Realwachstum in der Eurozone (trotz Rezession in Deutschland) und 1 % bis 1,5 % Inflation eigentlich nichts. Statt aktuell rund – 0,6 % für 10-jährige Bundesanleihen sollten die Zinsen eher bei 2 % liegen. Neben den Standardargumenten (alternde Bevölkerungen in den westlichen Industriestaaten, Globalisierung, neue Technologien sowie mehr Preistransparenz durch das Internet, EZB-Bondkäufe) sind wohl auch regulatorische Gründe sowie eine geringe Risikotragfähigkeit vieler Investoren aufgrund der Nullzinsen dafür verantwortlich. Als die Zinsen noch positiv waren, konnte man einen gewissen Anteil an Aktien beimischen und lag auch bei einem größeren Kursrückgang zumindest noch plus/minus Null. Wenn Investoren keine Risikotoleranz haben, gibt es außer Anleihen und vermeintlich ganz sicheren Qualitätsaktien nicht viel im Angebot. Leider werden dafür mittlerweile Liebhaberpreise gezahlt.

Wenn man die Äußerungen von Mitgliedern der EZB nach dem jüngsten Zinsbeschluss anschaut, sind die Chancen für weitere nennenswerte Lockerungen der EZB ohne einen massiven wirtschaftlichen Schock eher gering. Dass sich insbesondere auch der französische Notenbankpräsident öffentlich gegen die Anleihekäufe ausgesprochen hat, ist schon bemerkenswert. Genauso, dass EZB-Präsident Draghi nicht einmal eine Abstimmung durchführen ließ, obwohl die Ja-Stimmen alles andere als in der großen Überzahl gewesen sein sollen. Auch der Hinweis von Draghi, dass die Fiskalpolitik künftig übernehmen muss, ist eine klare Indikation, in welche Richtung es künftig gehen wird. Angesichts des demographischen Wandels werden die eigentlichen Belastungen für die Sozialsysteme zunehmend sichtbar.

Bestes Beispiel ist ja Deutschland, wo wir trotz Rekordsteuereinnahmen und zig Milliarden Zinseinsparungen gerade mal einen ausgeglichenen Haushalt haben. Für eine Entlastung der Arbeitnehmer ist natürlich mal wieder nichts übrig. Wohin das führen wird, wenn demnächst die Babyboomer in Rente gehen, ist ziemlich leicht auszumalen. In den kommenden zwei Jahrzehnten werden rund 20 Millionen Menschen in Rente gehen. Bei der aktuellen planlosen Umverteilungspolitik sind Defizite unvermeidlich. Wenn durch den Klimawandel eine Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften notwendig wird, brauchen wir uns über zu viel Kapital aufgrund zunehmend wissensbasierter Volkswirtschaften (eines der Argumente, warum die Zinsen so niedrig sind), keine Sorgen machen.

Es ist natürlich völlig illusorisch, dass dieser Umbau unserer Volkswirtschaften ohne Preissteigerungen für die Menschen ablaufen kann. Typische Politiker-Phrasen. Auch wenn man den Erfindergeist nicht unterschätzen sollte und es vor zehn Jahren nicht vorstellbar war, zu welchen Kosten man eine Kilowattstunde Strom mit Photovoltaik heute produzieren kann, werden Teile der bestehenden Infrastruktur obsolet (konventionelle Kraftwerkparks, Tankstellen, Raffinerien), müssen nachgerüstet (Hochöfen, Zementfabriken) oder ausgebaut werden (Stromspeicher, Übertragungsleitungen, Ladeinfrastruktur). Hinzu kommen Themen wie Waldumbau, Ernteausfälle, zunehmende Überschwemmungen usw. Verbindet man das Ganze mit einer sinkenden Erwerbsbevölkerung bei vielerorts gegebener Vollbeschäftigung und steigenden Kosten für die Sozialsysteme durch eine alternde Bevölkerung, stellt sich schon die Frage, ob die Inflation wirklich mausetot ist. Von daher könnte das nächste Jahrzehnt wider Erwarten durch steigende Inflationsraten und damit steigende Zinsen geprägt sein, und nicht durch Zinsen, die dauerhaft im Minusbereich liegen.

Der Rest von 2019 kann noch sehr interessant werden

Nach jahrelanger Underperformance von Value-Aktien, insbesondere in den letzten 18 Monaten in einem dramatischen Ausmaß, hat sich eine aktuell sehr spannende Situation ergeben. Viele Aktien haben 50 % und mehr verloren, die Erwartungen für die Unternehmensgewinne sind im Keller. Ohne einen neuen externen Schock besteht eine gute Chance, dass sich die Industrie und damit auch die Unternehmensgewinne hier weiter stabilisieren, wenn nicht gar wieder erholen. Mit Ausnahme des chinesischen Automobilmarktes, der nach jahrelangem Höhenflug zuletzt deutliche Absatzeinbußen zu verzeichnen hatte, läuft die Weltwirtschaft eigentlich ganz solide. Verstärkt durch den Handelskonflikt entschieden viele Unternehmen erst einmal abzuwarten, reduzierten ihre Investitionen und Lagerbestände. Wirtschaft ist eben oft zum Großteil Psychologie. Dass die EZB dies nicht versteht und wieder mal aufspringt, verstärkt die allgemeine Unsicherheit. Wenn die Industrie wieder Fuß fasst, sollte auch die Deflationsangst zum Teil aus dem Markt ausgepreist werden und zu einer gewissen Normalisierung bei den Zinsen führen. Diese sollte Long Duration-Assets/Quality Growth belasten und Value-Aktien begünstigen. Angesichts des Eintritts in die saisonal stärkste Phase des Jahres für den Aktienmarkt bei gleichzeitig sehr einseitiger Positionierung der Investoren auf Quality/Growth könnte der Rest des Jahres noch sehr interessant werden.

Wir sind entsprechend positioniert!


Fonds: FPM Funds Stockpicker Germany All Cap – ISIN LU0124167924

Gesellschaft: FPM Frankfurt Performance Management AG


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